Gehört das Kleinwalsertal überhaupt zu Österreich?

 Auf der Suche nach einer Identität

„Ihr seid ja lieber Deutsche als Österreicher.“ „Als es noch den Schilling gab, habt ihr diesen nicht angenommen, ihr wolltet damals nur Mark.“ „Bei Wahlen wählt ihr in Deutschland, oder?“ Immer wieder wird man als Kleinwalsertaler mit diesen und ähnlichen Fragen und Aussagen konfrontiert. Vor allem als Jugendlicher und junger Erwachsener ärgerte ich mich über dieses Bild der Gemeinde Mittelberg (Kleinwalsertal) im übrigen „Ländle“. Bei einem Kurs des Wirtschaftsförderungsinstitutes 1992 muss ich mich derart darüber aufgeregt haben, dass sich beim nächsten Kurstag eine Teilnehmerin bei mir entschuldigt hat. Immer wieder nehme ich dieses Rollenbild meines Heimattales mit Verwunderung wahr. Bei der Siegerehrung der Internationalen Walser Skimeisterschaften im Laternsertal 2013 begrüßte die Musik die „Walser aus Deutschland“. Der ansonsten aufbrausende Jubel unterblieb und die Musiker schauten etwas verwundert in die Runde. Hatten sie die Walser aus dem Kleinwalsertal gemeint? In einer Masterarbeit aus dem Jahr 2011 wird die Gemeinde dann gleich ganz nach Deutschland verortet.

Woher kommt dieses Bild des Tales? Versuchen wir, diesem sehr emotionalen Thema sachlich zu begegnen. Von den in der Gemeinde Mittelberg 4.846 gemeldeten Bürgern mit Hauptwohnsitz sind 2.774 oder 57,2 Prozent Österreicher und 1.381 oder 28,5 Prozent deutsche Staatsbürger. 265 Personen oder 5,5 Prozent stammen aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Die nächst größere Gruppe sind mit 140 Personen oder 2,9 Prozent die Ungarn. 28,5 Prozent deutsche Staatsbürger scheinen schon ein recht großes Indiz für eine tendenzielle Wahrnehmung als „Deutsche“ zu sein. Werfen wir noch einen Blick in die Geschichte. Am 1. Mai 1891 trat der sogenannte Zollanschlussvertrag in Kraft. Vereinfacht gesagt blieb das Tal zwar österreichisches Hoheitsgebiet, wurde wirtschaftlich aber an Deutschland angeschlossen. Die Zollgrenze wurde hinter die Gemeindegrenze verlegt. Dieser für die Gemeinde Mittelberg äußerst wichtige Vertrag und dessen Auswirkungen tragen vermutlich die „Hauptschuld“ an der Wahrnehmung des Tales als sehr „deutsch“. Vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union betraf das einerseits die Einfuhr von Gütern, hauptsächlich aus Deutschland, und vor der Einführung des Euro die deutsche Währung. So haben sich Bezeichnungen wie Quark, Aprikosen oder Tesa im Sprachgebrauch etabliert, ohne dass es die Bürger als „nicht österreichisch“ einstufen. Mit Bezeichnungen wie Tixo, Soletti oder Qimiq wissen im Gegenzug viele nichts anzufangen. Mit der rasanten Entwicklung des Tourismus siedelten sich bereits Ende der 1920er- und speziell zu Beginn der 1930er-Jahre viele „Reichsdeutsche“ im Tal an. Im Jahr 1933 wohnten 384 oder 21,7 Prozent deutsche Bürger im Tal. Sie brachten meist Kapital mit und waren oft Pioniere des neuen Wirtschaftszweiges. Andererseits war zu dieser Zeit die alteingesessene Bevölkerung noch sehr landwirtschaftlich geprägt. 1934 gründeten 400 Einheimische den österreichisch patriotischen „Walserbund“, welcher „der bedrohten Heimat und ihrem Volkstum unverbrüchliche Treue“ schwor.

Gerne werden die nie verwirklichten Straßenprojekte zitiert, um aufzuzeigen, dass die Kleinwalsertaler nicht zu Vorarlberg bzw. Österreich gehören wollten bzw. wollen. Bei allen geplanten größeren Straßenbauprojekten ging es allerdings um größere Zusammenhänge und nicht primär um die Anbindung des Tales an das Land. Der erste Denkansatz entstand bereits beim Bau der Flexenstraße, geplant wurde später die sogenannte Widdersteinstraße im Großdeutschen Reich. Die französische Besatzung nahm die Planungen zunächst wieder auf, hatte aber das Interesse nach Abzug der letzten französischen Soldaten aus dem Tal schnell verloren. Auch bei den Planungen in den 1960er-Jahren ging es der Landesregierung nicht unbedingt um die Verbindung des Tales mit dem Land, sondern um eine „Fremdenverkehrs- Transversale Oberstdorf – Davos“. Die auch als „Walser Transversale“ bezeichnete Straße sollte von Oberstdorf durch das Kleinwalsertal in den Bregenzerwald, über Damüls in das Große Walsertal und durch das Montafon bis nach Davos im Prättigau führen. Sie sollte als Ausflugsstrecke für eine Attraktionsbereicherung in den Tourismusregionen Allgäu, Bregenzerwald, Großes Walsertal, Montafon und Prättigau sorgen und die Wirtschaft ankurbeln. Ablehnung kam nicht nur aus dem Kleinwalsertal, sondern auch aus dem Allgäu, Bregenzerwald und Montafon. Selbst bei Verwirklichung einer dieser Projekte wäre der Weg ins „Land“ länger als in den nahen deutschen Nachbarort Oberstdorf geblieben.

Blick vom Bärenkopf nach Norden ins Kleinwalsertal mit dem Allgäu im Hintergrund, Foto: Jodok Müller

Von außen betrachtet könnte es wirklich so aussehen, als ob die Kleinwalsertaler lieber Deutsche wären. Verstärkt wird dies zusätzlich dadurch, dass bei einem Anteil von 28,5 Prozent deutscher Staatsbürger, Gästen, Saisonpersonal und vielen verwandtschaftlichen Vermischungen von doch einigen kein ausgeprägter Dialekt mehr gesprochen wird. Dennoch sind interessanterweise gerade jüngere Menschen bemüht, die Walser Sprache zu pflegen.

Wie sieht aber die Sicht der Einheimischen aus? Ein Blick in meine eigene Kinderstube: Meine Geschwister und ich wurden von meinen Eltern vor allem als „Walser“ großgezogen. Es wurde bei uns die „VN“ (Vorarlberger Nachrichten) gelesen, obwohl sie erst nach Mittag mit der Post kam und verglichen mit dem Allgäuer Anzeigeblatt kaum über das Tal berichtete. Bei Skirennen war mehr als klar, dass wir Österreicher sind – unser erstes großes Idol war Franz Klammer. Nur mein Vater scherte aus, er war bekennender Schweizer Fan. Meiner Tante, die ein Café betrieb, war es besonders wichtig, Gäste aus dem „restlichen Vorarlberg“ bevorzugt zu behandeln. Da es keine höhere Schule im Tal gibt, entschloss ich mich, nach der Volksschule das Gymnasium in Oberstdorf zu besuchen. Auch wenn viele Freundschaften entstanden, wurde uns damals deutlich zu verstehen gegeben, dass wir „Ausländer“ sind.

Ein Einzelfall? Auf eine nicht repräsentative E-Mail-Umfrage, die ich an mir bekannte E-Mail-Adressen versandte, bekam ich eine überraschend hohe Zahl an Rückantworten. Der Wortlaut meiner E-Mail: „Da ich relativ oft im ‚übrigen Ländle‘, sei es privat oder geschäftlich, zu tun habe, werde ich immer wieder mit der Frage konfrontiert: ‚Ihr im Kleinwalsertal seid irgendwie Deutsche, oder?‘ Geht es euch auch so und wie antwortet ihr spontan auf diese Frage?“ Ein paar Auszüge sollen auch hier erwähnt sein:

  • … auch wenn ich mich eher als Allgäuerin sehe, bin ich stolz auf meinen österreichischen Pass. Von Österreich habe ich auch nie wirklich viel mitbekommen (außer der Telefonnummer und der doppelten Postleitzahl). Das liegt vermutlich daran, dass ich seit der Volksschule nur in Schulen im Allgäu gegangen bin und mir da meinen Freundeskreis aufgebaut habe.
  • … na mir send Walser, und stolze Ööschtriicher.
  • Natürlich zu Österreich, ist meine Antwort!
  • Leider kann ich Dir da nicht weiterhelfen, weil bei mir stimmt´s ja – mit Deutsch 🙂
  • Eine interessante Frage, die ich mir selber auch schon gestellt habe und die auch unsere Kinder (vor allem die Große, die im Gymnasium ist) durchaus beschäftigt. Ich für meinen Teil fühle mich irgendwie „weder noch“. Bajuwarische Österreicherin vielleicht ;-).

Die am meisten gesandte Antwort war „Mir send Walser!“, die bei manchen noch mit dem Zusatz „und dann Österreicher“ ergänzt wurde. Eine sehr interessante und ausführliche Antwort erhielt ich von einem Geschäftsmann, der ebenso angab, dass er bei seinen Vorarlberger Geschäftspartnern antworte: „Wir sind Walser! Unser besonderer Stolz ist der Grund, warum wir über solche Frotzeleien ohne Probleme hinwegsehen können.“ Er glaubt, dass es daher kommt, weil die meisten Vorarlberger das Kleinwalsertal nicht gut kennen. „Das Ungewisse hinterm Berg … ist eben alles deutsch.“ Zum anderen war das Kleinwalsertal gerade in der Zeit vom Anfang des Tourismus bis hin zum EU-Anschluss extrem nach Deutschland orientiert.

Aber auch wir Kleinwalsertaler waren und sind dem Rest von Vorarlberg oftmals nicht so zugetan. Denn wenn man etwas mit Vorarlberg zu tun hatte oder hat, dann war oder ist es meistens etwas Unangenehmes: Gericht, Bezirkshauptmannschaft, Finanzamt Militär. Aber auch auf der anderen Seite (Allgäu) tut man sich nach wie vor schwer mit dem Kleinwalsertal. Wenn die „hüüra Walser“ draußen etwas kaufen ist alles OK, aber ansonsten herrscht Eiszeit. Aber dies beruht auf Gegenseitigkeit. Wir bezeichnen die Allgäuer immer noch herablassend als „Schwaben“. Im wirtschaftlichen Bereich haben die Kleinwalsertaler den großen Vorteil des florierenden Tourismus. Dies lässt sie natürlich gegenüber den Nachbarn oft sehr stolz wirken, weshalb dann auch Neid eine Rolle spielen kann. So nach dem Motto: Eigentlich brauchen wir keine „Gsiberger“ und auch keine „Allgäuschwaben“, denn die wollen uns eh nur an die Geldtasche! Ausnahmen bestätigen ja zum Glück, dass alles oben Beschriebene kein Thema ist: Nicht umsonst haben sich viele Walser/innen mit Vorarlbergern/innen und auch Allgäuer/ innen verehelicht und die meisten Kleinwalsertaler/innen haben heute in irgendeiner Form eine verwandtschaftliche Verbindung mit unseren Nachbarn

Obwohl sehr enge wirtschaftliche Beziehungen und viele Freundschaften im Besonderen mit dem Allgäu bestehen, ist in den letzten Jahren eine allgemeine Tendenz zu spüren, das „übrige Vorarlberg und auch Österreich“ bewusster wahrzunehmen. Es wird in Vorarlberg Urlaub gemacht und speziell im Hotelbereich auch geworben. Das Tal wurde in die GENUSS REGION ÖSTERREICH aufgenommen. Im Gegenzug ist auffallend, dass das Interesse der Vorarlberger am Tal gestiegen ist. Interessant ist auch, dass die Kleinwalsertaler das Allgäu nicht als Deutschland wahrnehmen. Während die Allgäuer durchaus das Kleinwalsertal in ihre Region mit einbeziehen, grenzen sich die Kleinwalsertaler lieber ab. „Walser sein“ spielt für viele Kleinwalsertaler eine wichtige Rolle und ist ein wichtiges Identitätsmerkmal geworden, um sich von seinen Nachbarn abzugrenzen. Nicht verwunderlich, dass das inzwischen in mehreren Walser Gebieten gesehene Logo „Walser – mee gaid ned!“ von Jugendlichen aus dem Kleinwalsertal entworfen wurde.

Stefan Heim, Riezlern

Dieser Artikel ist in Heft 96 der „Walserheimat“ zu finden.

St. Jakobus-Kapelle am Simmel in Hochkrumbach

Die Kapelle am Simmel hat eine lange und interessante Geschichte. Schon seit zirka 1550 befand sich auf der Passhöhe eine Kapelle, die damals noch zur Pfarre Lech gehörte. 1687 wurde Hochkrumbach eine selbstständige Kuratie. Bereits 1681 82 wurde mit dem Bau der heute noch bestehenden Kapelle begonnen, die allerdings erst 1781 eingeweiht wurde. 1692 zählte die eigenständige Gemeinde Hochkrumbach am Tannbergpass zwölf ganzjährig bewohnte Häuser. Einige Zeit war in Hochkrumbach auch das gemeinsame Gericht für Lech, Warth, Schröcken und das Kleinwalsertal angesiedelt. 1885 wurde die Ortschaft an Warth angeschlossen.

 1910 wurde die Kapelle saniert, nachdem ein Schneesturm den Turm einfach herunterriss. Dabei dürften auch Dokumente, die in der Turmkugel verwahrt waren, beschädigt worden sein. Aus den Fragmenten war ersichtlich, dass der erste Seelsorger 1681 hier eingezogen ist und die Pfarrei ab 1854 verwaist war. 2010 wurde die Theodulbruderschaft gegründet mit dem Ziel, heimische Kulturgüter am Tannberg zu erhalten und zu pflegen (www.theodul-bruderschaft.at). Mit viel Engagement begannen die Mitglieder mit der Sanierung der Kapelle. Dabei fand man in der Turmkugel Berichte von 1910 und 1967, ein kleines Kreuz, eine Medaille und eine kleine Madonna. Im August 2013 wurde der Turm und ein Teil der Kapelle durch einen Blitzschlag beschädigt. Große Teile des Turms und das Kreuz mussten erneuert und die Turmkugel restauriert werden.

Ein Prunkstück ist der Renaissance-Hochaltar aus dem 17. Jahrhundert, der ebenfalls restauriert wurde. An der Rückseite fand man eine Bleistiftinschrift: „Renovirt in den Kriegsjahren von Florus Scheel 1914 – 15 und wieder aufgestellt am 13/11 1916 bei 60 cm Schnee.“ Ende September 2014 wurde der „neue“ Altar feierlich bei der Friedensmesse am Simmel eingeweiht und die Kapelle erstrahlt jetzt in neuem Glanz.

Jodok Müller, Riezlern

Dieser Artikel ist in Heft 96 der „Walserheimat“ zu finden.

Walserheimat 96, Februar 2015

wh96Chroniken der Walserdörfer 2014

mit weiteren Beiträgen von Jodok Müller, Monika Bischof, Enrico Rizzi, Stefan Heim u.a.

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