Requiem für Walserisch ?

Ein Vortrag von Elisabeth Burtscher bei der 2. internationalen Sprachtagung am 9. Juni 2006 in Brig

Wir haben jetzt vieles gehört zur Sprachforschung. Forschung ist wichtig. Es ist äußerst wichtig, wenn junge Leute, Diplomanden, sich intensiv mit der Sprache beschäftigen. Forschungsergebnisse zu dokumentieren ist auch wichtig. Interessierte finden dort, was sie suchen. Diplomanden können sich informieren. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass wir mehrmals in der Woche einem Forscher begegnen oder Forschungsdokumentationen in die Hand bekommen. Was wir aber täglich tun und tun können und sollen, ist hören und reden beim Zusammentreffen mit den Leuten.

Nun gibt es wirklich Walserregionen, die es einem schwer machen, an den Fortbestand der walserischen Sprache zu glauben. Diese Regionen haben alle ihre Vertreter und ihre Kämpfer, sozusagen die Notfallteams, die nicht nur diagnostizieren, sondern auch rettend eingreifen.

Meine Aufgabe ist es, das östlichste Walsergebiet, nämlich Vorarlberg, vorzustellen. Wie steht es dort um die Sprache? Ist das Walserische dort lebendig? Auf jeden Fall ist es präsent und dokumentiert. Zum Beispiel in zahlreichen Publikationen, in Mundartsammlungen zusammen mit anderen Mundartbeiträgen, in Büchern, die als Walserisch gekennzeichnet sind. Ich darf hier das Kleinwalsertaler Mundartwörterbuch hervorheben.

Zu hören ist das Walserische bei Anlässen wie Walsertreffen, Walser Kirchentag oder bei Festlichkeiten, die mit der walserischen Geschichte zu tun haben oder, wenn Mundartleute sich treffen zu Austausch oder Lesungen. Bei öffentlichen Ereignissen wird das Walserische immer wieder für Liedvorträge oder Sprechstücke von Erwachsenen oder von Kindern verwendet.

Dokumentiert ist das Walserische auch auf zahlreichen CDs oder anderen Tonträgern. Im ORF-Studio Vorarlberg sind 164 Beiträge unter Walserisch gespeichert. Nicht mitgezählt sind solche Aufnahmen, die auch andere Dialekte enthalten, wie zum Beispiel die CD „Walserisch – Wälderisch“. 200 Titel widmen sich dem Walserischen in Bild und Ton. Über Privatinitiativen oder durch den ORF sind unterschiedliche Dokumentationen entstanden.

Trotz dieser Fülle von Lebenszeichen gibt es immer noch solche, die sagen: „Ja – aber die Jungen reden nicht mehr walserisch.“ Und sie liefern gleich die Begründung dafür mit: „Der Tourismus ist schuld daran, dass wir das Walserische verloren haben.“ Aber – der Tourismus nimmt nur das, was wir freiwillig aufgeben.

Oder es heißt: „Die jungen Leute gehen früh aus dem Dorf in weiterführende Schulen und dort vergessen sie ihre Mundart.“ Weiterführende Schulen zu besuchen heißt aber meistens auch das Erlernen einer Fremdsprache und wer wollte behaupten, dass dadurch die Muttersprache verloren ginge?

Oft ist es gerade die Beschäftigung mit einer neuen Sprache, die das Ohr sensibel macht. Ein Schüler, der Englisch lernt und feststellt, dass das englische „always“ näher beim walserischen „albis“ liegt als das deutsche „immer“, hat zumindest ein gutes Ohr für Sprachen und wird noch andere Beispiele finden.

Die jungen Leute haben keine Scheu, e-mails in der Mundart zu schreiben. Es gibt auch kein Thementabu. Sie schreiben alles, was sie wollen und sie schreiben, wie sie wollen. Sie kennen nicht die ängstliche Frage: „Wie schreibt man das richtig?“ Sie reden darauf los, verwenden selbstverständlich Fremdwörter oder neue Wörter aus ihrem Jargon neben walserischen Ausdrücken. Können wir daraus ableiten, dass ihnen die Mundart nichts mehr bedeutet? Untersuchungen zeigen, dass der bewusste Gebrauch der Mundart erst in einem späteren Lebensalter wichtig wird.

Es ist wahr, viele Wörter werden nicht mehr verwendet, weil sie nur noch selten gehört werden. Ist das Grund genug, den Verlust einer Sprache zu beklagen? Ist es nicht eher ein Zeichen der Lebendigkeit, wenn sich etwas ändert? Wer seine Texte auf dem Computer schreibt, verwendet Wörter wie „Tintenfass“ oder „Gänsekiel“ nur noch selten.

Genauso ist es mit vielen Walserwörtern. In einem Gespräch zu diesem Thema sagte mir ein Bauer: „Ja, wo sind sie denn, die alten Wörter, die Bezeichnungen für Werkzeuge und Handgriffe?“ „Dia hemmar oovrmerkt dra’gee, wo mr dMaschina ‘kauft hend.“

Wer wollte den Handel rückgängig machen? Was können wir denn tun? Wie kann gezielte Spracharbeit aussehen, obwohl viele Wörter nicht mehr da sind?

Natürlich können wir Erzählnachmittage oder –abende organisieren, bei denen alte Leute von früher erzählen. Natürlich ist es schön, wenn ich da ein Wort höre, das ich Jahrzehnte nicht mehr gehört habe. Es weckt eine Erinnerung. Für den Erhalt der Mundart ist es gut, wenn alle Generationen zu Wort kommen und wenn die Themen nicht immer um die Vergangenheit und um die bäuerliche Arbeitswelt kreisen.

Walserisch ist eine Sache des Selbstbewusstseins. Es sind nicht mehr so viele – auch nicht in Walsergebieten –, die ihr Selbstbewusstsein über Besitzgröße oder Viehbestand definieren. Ein weitaus größerer Teil bewegt sich in einem anderen Umfeld. Das muss sich auch in der Sprache zeigen und da nicht nur im Gebrauch bestimmter Wörter, sondern auch in der Vielfältigkeit der Ausdrucks- formen. Deshalb ist es wichtig, das Walserische aus der bäuerlichen Arbeitswelt herauszuholen.

Walserisch ist eine Sache des Herzens. Wer sich über die engere Heimat hinaus mit der Volksgruppe der Walser verbunden fühlt, öffnet eher das Ohr für Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Sprache der Bewohner verschiedener Walserregionen.

Walserisch ist eine Sache der Begabung. Hier kann gezielte Spracharbeit ansetzen. Schüler, die leicht und gerne Fremdsprachen lernen, können eher für den Gebrauch des Walserischen begeistert werden. Es gibt gute Beispiele dafür in verschiedenen Schulen des Landes. Das kann ein Sprachen-Projekt sein, eine Theateraufführung, ein Lied, ein Hörspiel usw. Für ältere Interessierte gibt es die Möglichkeit, sich mit anderen in einer Schreibwerkstatt auszutauschen und Texte zu verfassen. Es müssen aber nicht gezielt organisierte Sprechanlässe sein.

Überall dort, wo Walserisch selbstverständlich gesprochen wird, dient es der Sprache. Dort, wo sich der Sprecher nicht dafür entschuldigt, dass er redet, “wie ihm der Schnabel gewachsen ist“. Tut er es nämlich, wertet er damit das Walserische ab. Wäre ihm die Sprache ein Herzensanliegen, müsste er sich nicht entschuldigen. Dann würde er einfach drauflosreden.

Sich in einer Sprache ausdrücken zu können in allen Lebensbereichen, gibt genug Selbstbewusstsein, es auch zu tun. Wer das kann, wird seine Sprache immer noch besser kennenlernen und versuchen, sie möglichst gut zu sprechen. Es wird ihm zu einer Herzenssache werden. Er wird sie überall dort verwenden, wo er weiß oder damit rechnen kann, dass er von allen verstanden wird. Genauso, wie man das mit jeder anderen Sprache macht. Wir Mundartleute können mit Freude feststellen, dass viele – auch viele Junge – das Walserische selbstbewusst sprechen. Darüber können wir uns freuen – ohne Klage über verloren gegangene Wörter, ohne allzu strenge Kritik und ohne düstere Prophezeihungen für die Zukunft.

Das Walserische wird weitersprudeln in allem, was wir zu sagen haben, in allem, was uns bewegt oder beschäftigt, immer wieder sich ändernd mitten im Leben, mitten aus dem Leben heraus.

Spagat

Turna han i ned wörkli gära gha
i da Schual
d Lehreri hed mengs vrlangt
da Kopfstand, ds Rad und no vill meh
Da Spagat han i nia könna

wiit spanna
uufraächt bliiba
und mit am Kopf ds Gliichgwicht heba
I ha scho lang kee Turnstond meh
daför an Aorbat, as Auto und an Computer

Lääba zwüschat Doorf und Stadt

Wiit fort faohra und heija daheemat
Guata Morga und bonjour
per mouseclick Infos holla
am Telefon schnaäll d Spraoch waächsla
Jeans kaufa und d Tracht aalegga
zwüschat Jazz und Mozart losa, wia d Kilchaglogga schlaod
Z Portugal Bilder vom Walsertal zeiga
und daheemat vo schöna Plaätz vrzella – i Länder mit frönda Nema

Dää Spagat muaß ma könna

wiit spanna
uufraächt bliiba
mit Kopf und Häärz
ds Gliichgwicht heba

Die Idee für obigen Mundarttext stammt von Karin Ganahl-Gassner. Sie hat den Standardtext von Elisabeth Burtscher in ihre Raggaler Mundart übertragen. Karin kommt aus Raggal und lebt mit ihrer Familie auf der Sonnenseite des Großen Walsertales. Sie unterrichtet Französisch und Deutsch an der Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe (HLW).